In dieser Folge von „Zugehört“ gehen Major der Reserve Timon Radicke und Oberstleutnant der Reserve Dr. Peter Tauber der Geschichte von Kriegstagebüchern auf den Grund. Sie sprechen über Tagebücher, die Soldaten während des Krieges geschrieben haben, um ihre Erlebnisse festzuhalten, und über Niederschriften von Heerführern und Politikern, die ihr Handeln vor der Nachwelt zu legitimieren und erklären versuchten.
TAGEBUCH IST NICHT GLEICH TAGEBUCH
Wer das Tagebuch der Eltern oder Großeltern in die Hand nimmt, taucht häufig ein in eine andere Welt und eine andere Zeit. Tagebücher sind unschätzbar wertvolle Dokumente. Nicht nur in Familien, auch für Historiker. Kriegstagebücher stechen hier noch einmal besonders hervor. Major d.R. Timon Radicke und Oberstleutnant d.R. Dr. Peter Tauber widmen sich vor allem den offiziellen Niederschriften, die Truppenverbände, Armeen oder Streitkräfte verfasst haben, um den Verlauf eines Krieges oder einer Schlacht zu dokumentieren. Tagebücher sind oft subjektive Dokumente, die unter dem Eindruck direkter Erfahrungen entstehen. Im militärischen Sinne sind sie aber auch offizielle Dokumente, die den Zweck haben, militärische Entscheidungsfindung, chronologische Abläufe und Ereignisse rekonstruierbar zu machen und möglichst objektiv wiederzugeben. Hier ergänzen sich Kriegstagebücher als literarische Werke und Kriegstagebücher als offizielle Dokumente gerade mit Blick auf die historische Bewertung.
Von „STAHLGEWITTERN“ BIS AN DEN HINDUKUSCH
In einem historischen Abriss werden literarische Werke wie Ernst Jüngers -„In Stahlgewittern“- bis hin zu Markus Götz -„Hier ist Krieg“ als Erfahrungsberichte und Editionen den offiziellen Einsatz- und Kriegstagebüchern gegenübergestellt. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Stilistik und auf die nachträgliche Edition gelegt: dem Hauptunterschied zwischen militärisch-offiziellen Kriegstagebüchern und literarischen Tagebüchern.
AKTUELLE RELEVANZ IN DER ZEITENWENDE
Dass die Bundeswehr inzwischen wieder gezielt Einsatz- und Kriegstagebuchführer ausbildet, ist ein Beispiel für die Zeitenwende. Dass zu diesem Zweck eine entsprechende Vorschrift abgefasst wurde, daher auch nur konsequent. In dieser Folge von „Zugehört“ wird die Entwicklung der militärischen Kriegstagebücher bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt. Was blieb im Kern unverändert und wo wurden Anpassungen vorgenommen, die verdeutlichen, dass die Bundeswehr als Parlamentsarmee Kriegstagebücher und Einsatztagebücher unter dem Aspekt einer Rechtfertigung oder Nachvollziehbarkeit militärischen Handelns gegenüber dem Parlament und damit der Öffentlichkeit verfasst?
Von „CO2-neutralem Töten“ zu sprechen, schockiert zunächst. Allerdings verweist die Aussage in ihrer Radikalität und mitschwingende Ambivalenz auf eine zentrale Frage zur Organisation militärischer Gewalt: In welchen Verhältnissen stehen Militär und Natur zueinander? Über deren vielfältigen Wechselwirkungen sprechen Obergefreiter Philipp Janssen und Dr. Frank Reichherzer vom ZMSBw.
Umweltfolgen militärischer Gewalt
Es verwundert nicht, dass zum Verhältnis von Militär und Umwelt sofort kriegerische Auseinandersetzungen in den Blick geraten: „Verbrannte Erde“, Bilder der Zerstörung etwa aus Verdun, Stalingrad, oder dem aktuellen Krieg in der Ukraine oder im Nahen Osten. Dass Militär und militärische Gewalt erhebliche Auswirkungen auf die Natur haben ist offensichtlich. Soldaten und Soldatinnen kämpfen in der Natur. Schützengräben, Bunker, Granattrichter, verändern und verseuchen etwa im Fall von Munitionsresten Landschaften auf lange Zeit.
Die Organisation militärischer Gewalt als Stoffwechselprozess
Aber allein die Existenz des Militärs als Einrichtung zur Bündelung und Organisation kollektiver Gewaltpotentiale wirkt sich auf die Umwelt und die Natur aus. Militärgerät wird produziert und betrieben, die Truppe muss ernährt, untergebracht und ausgebildet werden. Alles zusammen verbrauchen Rohstoffe, Energie und produziert Abfälle. Diese Stoff- und Materialflüsse können als „Militärischer Metabolismus“ beschrieben werden, womit zahlreiche neue Perspektiven für die Betrachtung der Geschichte militärischer Gewalt wie auch für den Umgang mit aktuellen Problemlagen ermöglicht werden.
Zitat Frank Reichherzer: „Gewalt ist immer ambivalent: Sie sichert, sie zerstört, sie schafft und sie macht kaputt.“
Wechselwirkungen nicht nur durch Krieg
Doch wenn dieses Militär einen Krieg verhindert oder vor allem es gelingt Konflikte gewaltfrei beizulegen, führt das dann nicht dazu, dass deutlich weniger Rohstoffe aus der Umwelt genommen und beispielsweise weniger CO² in die Luft abgegeben wird? Über Stoffwechselprozesse, die zahlreichen Energietransformationen in der Geschichte des Militärs, Möglichkeiten der Reduktion der Umweltbelastungen durch Streitkräfte und Kampfhandlungen sowie zu den Möglichkeiten zur Lösung von Zielkonflikten zwischen militärischer Notwendigkeit und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen forscht das Projekt „Greening Military?
Militär und Umweltschutz
Der Historiker Frank Reichherzer ist Co-Leiter des von der Volkswagenstiftung geförderten Projektes. Er und Philipp Janssen sprechen in dieser Podcast-Folge über die Forschungen der Gruppe und kommen dabei auch auf die Rolle des Militärs als Umweltschützer von Biodiversität auf Übungsplätzen bis hin zur der NATO zu sprechen: Die NATO war bereits in den 1960er-Jahren mit Fragen der Umweltverschmutzung und den damit einhergehenden Problemen für die „Sicherheit“ westlicher Gesellschaften konfrontiert und setzt sich auch heute mit nachhaltigem Umgang, ökologischen Fragen und den sicherheitspolitischen Folgen der Erderwärmung auseinander. Die Episode regt also dazu an, die vielschichtigen und oft spannungsgeladenen Beziehungen zwischen Militär und Umwelt zu reflektieren und die Bedeutung eines bewussten Umgangs mit diesen Themen in der militärischen Praxis in Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu erkennen.
Im Ukrainekrieg spielen Frauen eine entscheidende Rolle, die traditionelle Geschlechterbilder zunehmend in Frage stellt. Auch zur Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte durch die Bundeswehr in Deutschland kommen regelmäßig Soldatinnen. Sabine Barz, Gender Advisor im EUMAM UA ST-C und Dr. Kristiane Janeke, ZMSBw, sprechen über Frauen und Geschlecht im Ukrainekrieg, über die Bedeutung von Geschlechterrollen und die Geschlechterperspektive in den Streitkräften.
Die Rolle der Frauen im Krieg
Das Gespräch beginnt mit einem Einblick in die Rolle von Frauen in den ukrainischen Streitkräften. Aktuell dienen in Ihnen ca. 68.000 Frauen, darunter 5.000 an der Front. Ihre Motive unterscheiden sich dabei nicht wesentlich von denen der Männer. Gleichzeitig tragen sie weiterhin die Hauptlast der familiären Verantwortung und leisten psychosoziale Unterstützung in den Kampfgebieten. Ein besonderer Fokus der Podcastfolge liegt auf der Arbeit einer oder eines Gender Advisor. Sabine Barz erklärt ihre Aufgabe als Gender Advisor in der EU-Mission unter Beteiligung der Bundeswehr: Dabei geht es um die Analyse der geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Konflikten und die Beratung militärischer Führungskräfte. Es geht also nicht um Gendersternchen oder Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten, sondern um ein tieferes Verständnis der sozialen Dynamiken in Krisengebieten.
Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe
Frauen sind im Krieg besonders gefährdet und von sexualisierter Gewalt betroffen. Diese wird auch im Ukrainekrieg gezielt als Kriegswaffe eingesetzt. Russische Streitkräfte verüben systematisch Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt gegen ukrainische Frauen, Männer und Kinder. Diese Taten dienen nicht nur der individuellen Demütigung der Opfer, sondern zielen auf eine kollektive Traumatisierung. Die psychischen und physischen Folgen sind verheerend und langanhaltend. Während Russland traditionelle Geschlechterrollen von Männern als heldenhaften Kämpfern und Frauen als Opfer und fürsorgliche Hüterinnen der Familie für seine Propaganda nutzt, führt in der Ukraine der Krieg dazu, dass Frauen eine zunehmend aktive Rolle in den Streitkräften einnehmen und in der Gesellschaft eine stärkere Geschlechtergerechtigkeit einfordern. Der Krieg hat somit das Potenzial, Geschlechterrollen zu hinterfragen und neu zu definieren und die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlecht und Macht zu verändern.
Neues Osteuropa-Projekt am ZMSBw
Die Podcastfolge ist Teil des neuen Projekts „Militärgeschichtliche Osteuropa-Forschung zum Zeitalter der Weltkriege“, mit dem das ZMSBw seine Expertise zugleich in die Diskussionen und Debatten zur Entwicklung in Osteuropa verstärkt einbringen und ausbauen will. Im Fokus steht die nicht allein aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine motivierte Erschließung Osteuropas für die Militärgeschichtsforschung.
Ob Mariupol oder Gaza-Stadt: Der militärische Kampf im urbanen Umfeld ist heute so präsent wie lange nicht mehr. Jahrzehnte lang war das Bild vom Krieg in Deutschland aber eher durch den ländlichen Raum geprägt – ob das die Norddeutsche Tiefebene oder der Hindukusch war.
Mehr als Taktik: Von der Wehrmacht bis heute
Die Gesprächspartner in diesem Podcast befassen sich nicht als militärische Analysten gegenwärtiger Kriege mit dem „Stadtkampf“. Sie blicken vielmehr aus einer dezidiert historischen Perspektive auf das Thema. Ausgehend vom Stadtkampf der Wehrmacht an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg fragen sie danach, was aus militärischer Sicht überhaupt eine Stadt definiert und wie die Wehrmacht diesen Kampf im Angriff und in der Verteidigung führte.
Stadtkampf war und ist aber nie nur ein Thema der Taktik. Tatsächlich bietet es zahlreiche Anknüpfungspunkte zu größeren historischen Fragen wie nach der Stadtgesellschaft im Krieg und während einer Besatzung, nach der Bedeutung von Technik, nach dem Verhältnis von Militär und Zivilbevölkerung und nach dem Humanitären Völkerrecht. Die Vermutung der Historiker: In einer Welt, in der seit 2015 mehr als die Hälfte der Menschen in Städten lebt, werden Kriege in der Zukunft auch verstärkt in Städten geführt. Auch in den Podcast Urban Warfare Project des Modern War Institute an der Militärakademie West Point berichtet der Host John W. Spencer über eigene Forschungen und spricht mit militärischen Experten und Teilnehmern. Auch der Berliner Podcaster Philipp Janssen sprach 2019 mit Dr. Adrian Wettstein zu seinem Buch in dem Podcast Anno PunktPunktPunkt.
Die Gesprächspartner
Dr. habil Markus Pöhlmann ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Er leitet dort den Forschungsbereich „Einsatz“ und ist Redakteur der „Militärgeschichtlichen Zeitschrift“.
Dr. Adrian Wettstein ist Historiker. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Militärakademie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Er ist einer der wenigen deutschsprachigen Experten zum Thema und ausgewiesen durch sein Standardwerk „Die Wehrmacht im Stadtkampf 1939-1942“.
Russland führt seine mächtige Sommeroffensive bis in den kalten Winter fort. Die Lage ist todernst, denn die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Wie entwickelt sich die Situation auf operativer und strategischer Ebene? Dazu spricht Oberst Dr. Reisner aus dem Bundesheer in unserer neuen Podcast-Folge von „Zugehört“.
Die Zeit und der Atem
Nach fast eintausend Tagen Krieg hat Russland circa ein Viertel der Ukraine erobert und setzt seine Angriffe an allen Fronten unvermindert fort. Generalinspekteur Carsten Breuer sagte vor kurzem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Die Zeit spricht für Russland“. Geht der Ukraine der Atem aus? Russland entreißt der Ukraine Tag für Tag, Meter um Meter ihres Heimatbodens. Kann die ukrainische Armee mit ihren verfügbaren Kräften und der westlichen Unterstützung die eigenen Verteidigungslinien halten? Was passiert wenn nicht, steht ein Durchbruch der russischen Kräfte bevor?
In dieser Podcast-Folge von „Zugehört“ schauen wir aber nicht nur auf die Lage des Gefechtsfeldes, sondern auch weit über die Front hinweg, denn in den USA steht nach der Wiederwahl Donald Trumps ein Kurswechsel bevor. Dazu zerbrach die Ampel-Koalition in Deutschland und Neuwahlen werden folgen. Für die lebenswichtige Unterstützung der Ukraine bedeutet dies ein Horizont voller Herausforderungen. Russland sieht sich nach Oberst Dr. Markus Reisner auf den „Seelower Höhen“. Dort tobte 1945 die größte Schlacht des Zweiten Weltkrieges auf deutschen Boden. Nach dem Sieg der Roten Armee war der Weg nach Berlin frei. Führt 2024 die „Siegerstraße“ nach Kiew?
Gesprächspartner
Oberst Dr. Markus Reisner ist Generalstabsoffizier im österreichischen Bundesheer, Historiker und ausgewiesener Militärexperte des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. In Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, Irak, Tschad, Zentralafrika und Mali war Reisner im Auslandseinsatz. Nach Verwendung im Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten in Wien, war er Kommandant der Garde und leitet seit März 2024 das Institut für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie.
Major Michael Gutzeit ist Leiter der Informationsarbeit des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw).